Hommage an Pit Morell von Christa Bürger

Gehalten im Rahmen einer Podiumsdiskussion in der Großen Kunstschau Worpswede 2019. Mit Herrn van der Berg, Christa Bürger und Pit Morell. Christa ist zu der Zeit Professorin für Germanistik an der Uni Frankfurt. Sie hat noch vor ihrem Tod der Bremer Kunsthalle und der Worpsweder Kunsttiftung zahlreiche künstlerische Werke vermacht, darunter Arbeiten von Pit Morell.

"Es ist mir, als ich darüber nachdachte, wie ich an diesem Ort über Pit Morell sprechen könnte, erst ganz deutlich geworden, wie sehr dieser Künstler mit unserem Leben, Denken und Schreiben, über Kunst immer verbunden gewesen ist: Seit unseren Fahrradfahrten nach Worpswede, zu Rosi und Pit, viele Jahre, Jahrzehnte hindurch. Ich könnte erzählen von dem schönen Sommernachmittagen im Garten von Rosi und Pit, die für uns so ganz zusammen gehörten, dass man ihre Namen in einem zusammen zog, Rosieund Pit, von den fröhlichen Mahlzeiten im Kreis der Familie, mit Maurice und Jeannette und Jan Albert und Robert – sie hatten alle französische Namen, die man auch so aussprach – von Rosis ironischen Seitenblick zu dem Bremer, wenn sie ihrer köstlichen Bratensauce noch mit den "Dickmachern" Butter und Sahne, die letzte Vollendung gab Gedanken; von einer vom ersten Augenblick an selbstverständlichen selbstverständlich und verlässlichen Freundschaft, Deren Anfang in den siebziger Jahren die Zeit viel, wo Pit bereits zum Vollbesitz seiner künstlerischen Verfahrensweisen, sich noch allererst als Künstler erschaffen musste. Das waren intensive und fruchtbare, wenn auch schwierige Jahre, voller Hoffnungen, aber auch von Mangel und Mut bei den Worpsweder Freunden, denn, wenn einer, dann hat Pit das ganze Risiko des freischaffenden Künstler auf sich genommen. Was uns, gerade angesichts seiner noch unsicheren, ökonomischen Situation an ihm beeindruckte, weil es ein Licht warf. Auf seine moralische und künstlerische, Identität, war die Großzügigkeit, die er seinen Künstler Kollegen gegenüber bewiese, etwa wenn er uns einen unmittelbaren Konkurrenten, Ekkehard, Thieme, empfahl; wir müssten aber, wenn wir ihn in seinem Atelier in Flensburg besuchten, "auch ein Blättchen mitnehmen“, sagte er. (Wir sind, beiläufig, seinem Hinweis gefolgt, und es ist bei diesem ersten Besuch nicht geblieben). Die Anekdote beleuchtet aber auch Pit Morell tief verwurzeltes Selbstbewusstsein, das unzerstörbare Gefühl seiner eigenen, künstlerischen Bedeutung.

 

Mit dem Risiko ganz ist aber auch das der inneren Abgründe gemeint. Einer von Morells winzigen Radierungen trägt den Titel Rimbaud, dessen berühmten Satz Pit der belesene natürlich kannte, und natürlich wussten wir sofort, was damit gemeint war: Je est un autre. Und dass der Satz auch für ihn galt, zeigte ein bekenntnishafte Selbstportrait, wo der andere ihm auf den Schultern hockt. Dieser andere, der er auch war, musste es schaffen. Und so schien uns, was da entstand im Reich des heiligen Worps, notwendige Kunst, in der von Bedeutung des tiefsinnige Wortes: Kunst, die die Not wendete und den anderen zu schweigen brachte, Kunst, absolute moderne und voll und und voll von Vergangenheit, von Märchen und Bosch und Brueghel von Jongkind und Turner, aber ein wie von jenem anderen Gelenk des Niederschreiben von Erinnerungen an Bilder, Wörter und Texte, anschaffen, das sich um moderne Korrektur, was ich um modische Trends nicht kümmerte, irgendwas sehr Eigenes zwischen Abstraktionen und Gegenständlichkeit.

 

Es waren auch  für uns sehr produktive Jahre. 1971 hat Peter Bürger sein Buch über den französischen Sozialismus veröffentlicht. Auf den Mauern der Saison Bonn waren 1968 sozialistisches Sätze aufgetaucht: L'imagination prend le purvoire, oder Mesa désirs sonst la réalitar. Wir wollten aber nicht nur als Wissenschaftler und Hochschullehrer uns abstrakt mit dem Sozialismus beschäftigen, sondern begreifen, im wörtlichen Sinne, konkret, worum es dabei ging. Wir machten also Collagen und schrieben automatische Texte, und da begegnete uns immer jede der leibhaftige Sozialismus – in dem Abkömmling französischer Bauern, Hugenotten, die Essenz die Essenz hessische verschlagen hatte. Was wir bei diesem Künstler sahen, war automatische Kunst, aber auf dem avancierteren Stand der technischen Verfahren der Radierung und einer ganz und gar freien Verfügung über die Kunst.

Für unseren neuen paisan de Paris" war Worpswede der Ort, war aus der Perspektive dessen, der nicht teilhatte, die Welt draußen in "mythisch" sehen konnte. Es war freilich ein romantischer Surrealist, dem wir bei der Arbeit zusahen, seinen freien Assoziationen. Pit Morells mythologie moderne schienen uns aber auch ein Wagnis. Wo alles mit Bedeutung besetzt ist zur Chiffre wird, worin sich Wünsche und Ängste verbergen, wo alles sich in etwas anderes verwandeln kann, droht die Gefahr einer verklären Poetisierung der Welt, die den Aufklärern, die wir auch waren, nicht entging. Unsere Tagebücher enthalten aus dieser Zeit immer wieder Eintragungen über diesen Alleingang – der Titel, einer seiner kleinen Radierungen, die einen Elefanten und einen  Reiter, sich voneinander entfernend, umschwebt von unheimlichen Gesichtern, erkennen lässt.

Überlegungen über die Aufspaltung des Werks in eine esoterische und
exoterische Kunst, haben diesen Gedanken aber sofort wieder fallen gelassen, weil wir, im Blick auf dieses Werk als Ganzes, gesehen haben, dass gerade in der Vermischung der Sphären, dessen Gegenwärtigkeit bestand.

 

Wir haben uns oft gefragt, ob es in Pit allegorischem Universum ein Zentrum gibt. In diesen oft ganz winzigen Radierungen, sein Lieblingsformat hat – es genügt ein Blättchen vom Umfang eines Handtellers, um die ganze Welt darauf einzufangen, pflegt er zu sagen – und glaubten irgendwann, die Antwort gefunden zu haben: die MutterGeliebte, Rosi. Sie erschien uns damals, und sie scheint mir auch heute wieder, während ich aus unserer dicken Morell Mappe eine nach der anderen, die zumeist von ihm selbst gedruckten und mit Fingerabdrücken versehenen Radierungen vor mich hin lege und betrachete, als die Gestalt, die sich noch in dem abstraktes Liniengewirr entdecken lässt, und – in der Helena der großen Faust II – Serie, wo der Künstler den begeisterten Bild Beschwörungen des Humunkulus folgt, also realistischer Klassiker.

 

Pit Morell ist einer, der erzählen möchte, aber weil ihm das in der mündlichen Rede nicht gelingen will, schreibt er seine Geschichten auf Kupferplatten. Und was dabei herauskommt, ist eine einzige große Geschichte, die von Rosi und Pit. Es ist das aber eine Geschichte, deren Beginn in den Anfang von allem Zurück reicht und die kein Ende findet, wird. Ich schlage unsere Morell–Mappe noch einmal auf und merke sofort, dass ich schon in dieser Geschichte zu lesen anfange: sie beginnt mit Eva, die sich mit einer zündenden Schlange unterhält, während Adam mit großem Griffel in den Regenbogen schreibt, neben ihm, in den Wolken, zwei riesige Frauenköpfe, weiss die eine und schwarz die andere, unter ihnen die Gesetzestafel und ein schwer zu identifizierendes Objekt, vielleicht ein großer Koffer. Am Bildrand links in sehr kleiner Schrift entziffern ich Adam und Eva. Verstecktes Haus. Und dann habe ich vor mir Reines Wasser, ausgegossen von einer Frau, die aus nichts als Gesicht und Haar und einem riesigen Flügelpaar besteht, im Wasser unter ihr treibt ein menschliches Wesen mit erschrockenen Augen, hinter ihr geht ein Blinder mit seinem Stab vorbei. Über den winzigen Haus ganz hinten am Horizont kreisen Möwen. Und schließlich Abschied: Da stehen zwei am Ufer und reichen sich die Hände, in der Bild Mitte, aber ganz klein, vor wehenden Bäumen, ein Reiter, am Horizont, ein in den Dünenfest versunkenes Haus, im Vordergrund, dicht vor dem Paar, dass nicht hin blickt, ein großes Boot, darin, ein anderes Paar, eine Frau mit Sonnenbrille, in deren linken Glas man ein Gesicht entdecken kann, dass sich zu einem schlangenähnlichen Körper verlängert, der an ihrer Seite herunter hängt, korrigiere; ein Mann in schwarz neben ihr gesichtslos, aber mit breiter Hutkrempe – der Tod? So könnte ich weiter erzählen, aber ich überlasse es Ihrer Fantasie, aber vor allem ihrer Neugier, in Morells Radierungen weiterzulesen.

Lieber Pit, in deinem 80. Lebensjahr und an diesem Ort des heiligen Worps, in mitten deiner klassischen und romantischen Gespenster, in denen das Märchenerbe deiner Familie Buben mag, muss ich dir und darfst du dir sagen, dass du dem künstlerischen Auftrag, den du mit deiner bildnerischen Begabung bekommen hast, immer treu geblieben bist."

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Die Biografie

2020
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Die Bücher

Die Treppen zur Muschel
1979
Worpswede – Nachrichten aus dem Moor
1984
Kampen – Skizzen& Text
1979
Tschikeung 1963
Tschikeung 1963

Langspielplatte "Geht's Wasser?" von Pit Morell 1973

Lyrisches, Tagebuch-Aufzeichnungen und Anekdotisches. Es handelt sich um eine Platte, die mit den Original Radio-Bremen-Band hergestellt wurde. Die Lesung ging bereits 1964 on air.

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